Thriller: Seelenfall – Wellen (Episode 23)

Episode 23

Wellen

Die weiße, endlose und allumfassende Leere hinter sich lassend, erreichte Faith wieder den Ausgang des geheimen Raumes, der sie aus der faszinierenden Unendlichkeit herausführte.
Als Faith diesen magischen Ort verließ, konnte sie nur schwer realisieren, dass sie soeben mit einem überdimensionalen Herzen kommuniziert hatte, auf eine Weise, wie es Telepathen taten.

Doch das war es, was sie getan hatte, und nun wusste sie mit erkenntnisreicher Sicherheit, dass sie sich in einer Traumwelt, einer Paralleldimension befand, aus der sie entkommen musste. Doch die Präsenz, die sich auf der Insel befand, würde sie nicht so einfach gehen lassen. Sie schloss die Tür des geheimen Raumes hinter sich, ohne zu wissen, ob sie je wieder mit dem Herzen sprechen würde. Das elektrische Knistern in der Luft war verschwunden, und die Präsenz schien fort. Faith konnte keine Veränderung in der Atmosphäre ausmachen.

Nun musste sie erst einmal von dieser Insel fortkommen. Sie würde keine Zeit
mehr vergeuden und sich beeilen, um diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen. Faith lief bis zum Eingang der großen Hütte zurück und verließ das alte Gebäude, das so voller Geheimnisse steckte. Weiter lief sie den Pfad entlang und erreichte alsbald die moosbedeckten Treppen, die sie an den Strand und zum alten Boot zurückführten. Beim ersten Mal, als sie auf der Insel angesetzt hatte, wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass sie sich mit ihrer naiven Entscheidung in solch eine Gefahr begeben würde.

Zu ihrem Verwundern gab es kein Boot mehr, mit dem sie hätte entkommen können.
Jemand hat es mitgenommen oder es war nicht ausreichend befestigt und treibt jetzt auf dem See herum.
Faith blickte einmal rund um den See, doch es war überraschenderweise kein Boot zu erkennen, das friedlich vor sich hintrieb und ihre so wichtige Rettung bedeutete.
Dann muss es sich in Luft aufgelöst haben, dachte sie sich.

Sollte sie es riskieren, bis ans Land zu schwimmen? Eine andere Möglichkeit hatte sie nicht.
Ansonsten würde sie hier noch bis an ihr Lebensende im Labyrinth ihres Geistes gefangen sein. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als den See zu überqueren.
Ein paar stille Gebete später, watete sie dann ins offene Wasser. Ihre Kleidung wurde nass und sog sich an ihr fest, doch das interessierte Faith nicht. Als sie den Grund des Sees nicht mehr spüren konnte und zu schwimmen begann, passierte etwas Unerwartetes im See.

Ein abruptes und fürchterliches Beben des Grundes verursachte eine Reihe von wenig spektakulären Wellen, die aus der Mitte des Sees kamen und sich leicht schäumend und aufbrausend in tosende und gewaltige Monsterwellen verwandelten. Sie spürte, wie das Adrenalin durch ihren Körper strömte und versuchte gegen die Naturgewalt anzukämpfen.

Faith nahm auch den starken Regen wahr, der sich spontan in dicken, dunklen Wolken über dem See ablud. Wie aus dem Nichts braute sich plötzlich ein gewaltiger Sturm zusammen und Faith war sich sicher, dass der Himmel noch wenige Minuten zuvor klar und angenehm gewesen war.

Sie nahm all ihre Energie zusammen und schwamm den Wellen entgegen, so gut sie konnte. Doch die Wellen gewannen immer mehr an Kraft und Höhe. Ihre Hoffnung, das andere Ende des Sees zu erreichen, schwand mit jedem Atemzug. Als geübte Schwimmerin konnte sie einige der Wellen durchbrechen, die sie jedoch mit jeder größeren Welle immer weiter zurückdrängten.

Die ersten Wellen konnte sie noch problemlos überqueren, doch die Wellen türmten sich zu mächtigen, schäumenden Mauern auf und schwemmten sie zurück ans Land. Dort blieb sie eine Weile liegen, atmete mit kräftigen Atemzügen, weil ihr kaum noch Luft blieb. Sie rappelte sich auf und wusste, was zu tun war.
Faith wollte nicht aufgeben, ihr Wille, die andere Seite der Insel zu erreichen und aus dieser Dimension zu entfliehen, war stärker als das Gefühl des schnellen Aufgebens.

Bei dem erneuten Versuch war Faith bereit, das letzte bisschen Energie aus sich herauszuholen. Dieses Mal gab sie alles und noch ein bisschen mehr, um sich durch die Wellen zu schlagen. Erst schlug sie sich wacker und übertraf sich, kämpfte sich durch unzählige Wellen, die sie erfolgreich meisterte. Eine Welle nach der anderen wurde passiert und der Sturm tobte grauenvoll über ihr im Himmel. Doch die mächtigen Wellen wurden mit jedem Mal höher und bezwangen Faith, als sie fast in Ohnmacht fiel.

Eine letzte Riesenwelle unvorstellbaren Volumens schwemmte nicht nur Faith weg, sondern überschwemmte gleich einen Großteil der Insel und füllte den dortigen, verlassenen Pool mit frischem Seewasser. Sie wurde von der Welle fortgetragen, über die Treppen hinweggeschwemmt und direkt in den Pool gesogen. Dabei wurde ihr Körper in die Tiefe gezogen und landete direkt auf dem Grund des Pools.

Eingetaucht im Wasser des Pools strömten weitere Wassermassen nach, sodass Faith kaum noch die Oberfläche erreichen konnte. Am Boden des Pools kämpfte sie mit ihrem Orientierungsinn und öffnete unter Wasser ihre Augen, als sie einen Zugang im unteren Bereich des Pools entdeckte. Eine eingerissene Öffnung im Pool führte tiefer in eine unterirdische Höhle, die vom Pool ins Nirgendwo führte. Faith schaute noch einmal nach oben, und sah, wie weitere Wellen die Insel überschwemmten und bekam Panik. Sie würde es nicht mehr bis an die Oberfläche schaffen, die Wassermassen würden die gesamte Insel einnehmen.

Der Spalt im unteren Teil des Pools war ihre letzte Möglichkeit. Auch wenn sie nicht wusste, wohin diese Höhle sie führte, würde sie entlang dieses Spalts schwimmen müssen. Sie schwamm in ihrer letzten Verzweiflung in den Spalt hinein, ohne zu ahnen, was sich dahinter verbergen würde.

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