Thriller: Realitäten eines Androiden – Die oberste Etage (Episode 7)

Episode 7

Die oberste Etage

Jeff hatte Valery Falles befragt und alle wichtigen Informationen und Erkenntnisse in der Akte Nr. 299 zusammengetragen. Er bereitete sich für sein Gespräch mit Dr. Brievs vor und legte seine Notizen in seinem Aktenkoffer ab und verließ sein neues Forschungsbüro.

Die Anomalien, von denen Dr. Brievs gesprochen hatte, waren völlig natürliche Verhaltensmuster, die Menschen eben vor schwierigen Entscheidungen trafen. Ihre Entscheidung hatte zum Scheitern der Mission geführt, jedoch konnte Jeff nicht sagen, dass sie falsch gewesen war. Er konnte ihre moralischen Bedenken durchaus nachvollziehen.

In Vallys Fall war das Ausschlaggebende jedoch, dass sie entgegen ihrer Programmierung gehandelt hatte. Doch wie war das bei dieser fehlerfrei programmierten Androidin Valery Falles möglich gewesen?

Ihr künstlicher Verstand hatte selbstständig reflektiert, ob ihre Programmierung richtig oder falsch war und hatte im Anschluss dann das eigene System umgangen, um das zu tun, was sie aus ihrer Sicht für richtig hielt.
Nur hatte sie mit dieser Entscheidung eine wichtige Mission für den Doktor und seine Institution verbockt. Eine Menge Kapital war dem Doc durch sie entgangen, als sie den Deal mit dem Investor aufgrund ihrer moralischen Barrieren zum Misserfolg verleitet hatte. Jetzt war sie im Visier des Doktors.

Und sie war Brievs ein Dorn im Auge.
Jeff würde dem Doktor jetzt den psychologischen Bericht erstatten müssen und es würde Valerys Zukunft verändern. Er hoffte auf die Nachsicht des Doktors, der sich in dem Fall von Valery im besten Fall für sie aussprechen würde. Doch das würde sich noch zeigen müssen.

Jeff lief den langen Weg bis zum Aufzug und versuchte mit wachsamen Augen zu beobachten, was diese Einrichtung noch an Geheimnissen zu verbergen hatte. Mittlerweile erschien ihm die Einrichtung surreal, die vielen verschiedenen Roboter-Typen, die er gesehen hatte, waren mit hochintelligenter KI-Technologie ausgerüstet.
Androiden, die dem Abbild des Menschen entsprangen.

Dieser Ort war mysteriös und genial, ein Meilenstein im Bereich der Roboter- und KI-Technik, Schöpfungen, die Meisterwerke waren und motivierte Wissenschaftler übertrafen sich mehrmals übereifrig in ihren Erfindungen und Erkenntnissen.
Er schlenderte den majestätischen Flur entlang. Sein Blick war auf die zahlreichen, transparenten Forschungs- und Büroräume gerichtet.

Er sah Wissenschaftler und Büroangestellte, die eilig und beschäftigt, in alle möglichen Richtungen ausströmten, um Meetings vorzubereiten, Formeln zu berechnen, Akten zu drucken und andere wichtige Arbeiten zu erledigen. Welche davon Androiden waren, wusste Jeff nicht, so perfekt waren sie, vom Äußeren sahen sie alle aus wie echte Menschen.

Als er den Aufzug schon in seinem Sichtfeld hatte, bemerkte er eine Veränderung an den Fenstern. Die durchsichtigen und klaren Fenster verwandelten und verpixelten sich unerwartet.
Nicht schon wieder.

Ein Raum nach dem anderen verschwand hinter einem unscheinbar dunklen Grauton aus Mozaik-Feldern. Die verpixelten Fenster versperrten ihm die Sicht. Jeff lief weiter, bis er den Aufzug am Ende des Flures erreichte. Dort rief er den großen Aufzug herbei und wartete einen Moment, bis dieser sich öffnete. Er stieg ein und wählte die oberste Zahl, die er dort auf der Tafel erkennen konnte.
Etage 190.
Wie kann dieses Gebäude so viele Etagen haben?

Die Türen schlossen sich und der Aufzug beschleunigte. Nach einer rasanten und verwirrenden Fahrt erreichte er schließlich die 190. Etage. Dort fand er sich in einer Vorhalle wieder, die nur eine einzige Tür hatte. Der Raum war voller Bilder von Wissenschaftlern, Schriftstellern und Personen adeligen Ranges.

Jeff näherte sich der Tür und hörte das spontane Rauschen der Sprechanlage, die an einer Einrichtung mit einer Kameralinse und einem Touchbildschirm angebracht war. Doktor Brievs meldete sich zu Wort.

„Ich habe Sie schon erwartet, Mr. Revven. Treten Sie ein.“
Es erfolgte ein Signalton und die massive Tür öffnete sich automatisch. Jeff betrat einen Raum, der sein neues Forschungsbüro wie einen Schatten aussehen ließ. Dr. Brievs saß in einiger Entfernung hinter einem massiven und mächtigen Arbeitstisch, der mit allerlei Bildschirmen und technischen Geräten ausgestattet war. Hinter ihm schmückten viele Monitore, Bildschirme und Überwachungsapparaturen die Rückwand.

Ihm fielen auch die Konstruktionspläne diverser Roboter und Androiden auf, die sich unweit seines Schreibtisches auf enormen Whiteboards in das Gehirn einbrannten. Konstruktionsskizzen und unzählige Berechnungen auf unversehrten und zerknitterten Papieren lagen um den Tisch verstreut.

Dieser Raum war nicht nur eine Utopie für jeden Wissenschaftler, sondern eine Halle der höchsten Forschung, die unendliche Möglichkeiten bot, mit dem neuesten Zubehör, der besten Technik, und allen Feinheiten und Raffinessen, die ein Wissenschaftler schätzen würde. Ein internes Überwachungssystem, um alle Vorgänge im und um das Gebäude herum zu kontrollieren. Um neue Androiden zu kreieren und um komplizierte Apparaturen zu bauen oder zu drucken. Hier hatte Dr. Brievs also seine Residenz der unbegrenzten Möglichkeiten.

Zudem hatte der Doktor einige seiner Androiden in mächtigen Glastanks zur Schau gestellt. Sie waren in eine Nährstofflösung eingetaucht worden, Androiden, die zur Ruhe gestellt wurden und inaktiv waren. Es mussten mindestens ein Dutzend Tanks sein, die an den Wänden des Saales aufgestellt waren.

Die Augen dieser Kreaturen waren geschlossen und sie waren offensichtlich in einen Standby-Modus versetzt worden.
Wer weiß, ob Dr. Brievs sie nicht jederzeit zurückholen kann.
Hier gab es viel zu entdecken, doch dafür hatte Jeff keine Zeit, er lief bis zum Schreibtisch des Doktors und ließ sich vom Doc begrüßen.

„Setzen Sie sich, Mr. Revven. Ich nehme an, Sie möchten mir den Bericht über Valery Falles liefern?“, sagte Dr. Brievs und setzte sich nach dem Handschlag ebenfalls auf seinen Sessel, der mehr wie ein Thron wirkte.
„Genau richtig, Doktor. Deshalb bin ich hier.“
Brievs grinste breit und freute sich sichtlich über den Besuch.
„Dann lassen Sie sich schon mal gesagt haben, dass Sie derjenige sein werden, der Mrs. Falles neu ausrichten und umprogrammieren wird.“

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Realitäten eines Androiden: Valerys Gedächtnis – Episode 8

Von vorne lesen? Hier geht es zur 1. Episode des Thrillers:
Realitäten eines Androiden: Neustart – Episode 1

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