Thriller: Realitäten eines Androiden – Probleme und Lösungen (Episode 13)

Episode 13

Probleme und Lösungen

Valerys nächste Mission bestand darin, Jeffs Verhalten zu beobachten und all seine Aktivitäten zu dokumentieren und dem Doktor Bericht darüber zu erstatten. Mit den neuesten Anweisungen wollte Dr. Brievs die Loyalität der Androidin X-299 testen, die in der Vergangenheit moralischen Widerstand gegenüber seinen Befehlen geleistet hatte und eigene Entscheidungen entgegen der Firmenpolitik getroffen hatte. Jetzt, da sie laut Jeff geheilt war, konnte er auf einfache Weise feststellen, ob er seine Arbeit am Gedächtnis-Terminal wirklich erledigt hatte oder ob sie beide nur eine Show vor ihm abzogen.

Brievs ahnte, dass die Androidin Sympathien für Jeff hegte, was sich auch nach dem Gespräch in den Aufzeichnungen ihres Gedächtnisimplantats bestätigte. Er wies sie nochmals darauf hin, dass es ihr nicht erlaubt war, Jeff darüber aufzuklären, dass er selbst ein Android war, der insgeheim neueste Prototyp J-301, dem innerhalb des Projekts 301 die volle Aufmerksamkeit zuteil wurde. Jeff sollte weiterhin davon ausgehen, dass er ein Mensch sei, der in einer glücklich behüteten Familie lebte und einen Job als psychologischer Betreuer erhalten hatte. Das alles gestellt war, wusste Jeff nicht. Genauso wenig wie der Doc wusste, dass Valery vor hatte, Jeff über seine wirkliche Herkunft aufzuklären.

Während Valery am nächsten Tag begann, Jeff beiläufig nachzuspionieren, kümmerte sich Jeff um das alltägliche Geschäft. Einige der Mitarbeiter wandten sich an ihn, um über ihre Probleme zu sprechen, andere wurden zu dringlichen Terminen in sein Büro beordert. Er empfing Menschen, Androiden, Humanoiden und auch Help Bots, die ihm ihre innigsten Gedanken schilderten.

Heute sollte Jeff einen technischen Mitarbeiter empfangen, der von einem Androiden gemeldet worden war, als es zu einer diskriminierenden Begegnung im Aufzug gekommen war. Der Android, der aus der etwas älteren X-290er Reihe stammte, monierte eine deutliche Feindseligkeit des technischen Mitarbeiters Torben Tell, der ihn als Schaufensterpuppe beleidigt hatte und ihn genötigt hatte, aus dem Fahrstuhl auszusteigen, als weitere menschliche Mitarbeiter in den Aufzug zustiegen. Der Technik-Ingenieur Tell hatte ihm anschließend beleidigend hinterher gerufen, dass er ein Wesen zweiter Klasse wäre und warten müsse, bis alle Menschen ihre Zieletagen erreicht hatten.

Jeff würde im Anschluss auch ein Gespräch mit dem Androiden führen, der äußerlich nicht so makellos und perfekt war wie die neueren Androiden-Modelle. Ihre Hülle ähnelte tatsächlich der von Puppen, die durch ihre plastische Außenschicht zwar die genauen Formen eines Menschen besaßen, jedoch sofort beim Betrachter als menschliche Roboter identifiziert werden konnten. Sie unterschieden sich auch dadurch, dass die Androiden des Typs X-290 eine geringere Grundintelligenz als die neuesten Modelle besaßen, jedoch grundgütig waren und auch Empathie und Emotionen imitieren konnten. Sie konnten also genauso wie Menschen Trauer, Glück, Mitgefühl, Freude und alle anderen Gefühle empfinden.

Um Punkt 13 Uhr trat der technische Mitarbeiter in das Büro von Jeff Revven ein. Dieser hatte keine Ahnung, dass Jeff ein Android war, wie die meisten menschlichen Mitarbeiter der Robotec-Einrichtung. Lediglich die ranghöheren Wissenschaftler und die neueren Androiden-Modelle, die zur Verschwiegenheit verpflichtet wurden, waren in das Projekt 301 eingeweiht, um ein möglichst authentisches Umfeld für Jeff als Mensch zu schaffen.
„Willkommen, Mr. Tell. Pünktlich auf die Minute. Setzen Sie sich bitte“, grüßte Jeff ihn freundlich.

Der Technik-Ingenieur nahm auf dem Sessel vor dem Schreibtisch Platz und nickte lustlos. Er sah nicht gerade glücklich aus.
„Ich habe Sie heute eingeladen, da mich eine Beschwerde eines Androiden vom Typus X-290 erreicht hat. Sie haben sich diskriminierend gegenüber seines Aussehens geäußert, indem Sie ihn Schaufensterpuppe nannten und ihn mit Ihren verletzenden Worten und einem Rempler aus dem Fahrstuhl gejagt haben, als der Platz nach weiteren Zugängen knapp wurde. Außerdem haben Sie ihn als Wesen zweiter Klasse bezeichnet und ihm zu Unrecht weis gemacht, dass er warten müsse, bis alle Menschen den Aufzug verlassen würden. Ist das korrekt und was hat Sie zu Ihrem Verhalten bewegt?“

Torbens gelangweilte Miene verschwand, als plötzliche Wut in seinen Augen aufflammte.
„Es ist ähnlich abgelaufen, Mr. Revven. Dieser Android X-290, wie Sie sagen, war zum besagten Zeitpunkt der einzige Android im Aufzug. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, obwohl mir diese Roboter immer schon unheimlich erschienen. Als weitere Menschen in den Aufzug strömten, wurde der Platz eng. Deshalb bat ich den Androiden, sich aus dem Aufzug zu entfernen und auf die nächste Fahrt zu warten. Doch als dieser sich weigerte, begann ich ihm meine Meinung zu sagen.“
Jeff unterbrach den Technik-Ingenieur.

„Sie haben ihn also darum gebeten, den Aufzug zu verlassen. Was hat Sie dazu bewegt?“, fragte Jeff neugierig.
„Es war eng und die Leute im Aufzug wollten es meiden, zu dicht gedrängt neben dem Androiden zu stehen.“
„Sind es die Leute, die den Kontakt zum Androiden meiden wollten, oder Sie selbst, Mr. Tell?“
„Ehrlich gesagt, habe ich immer ein komisches Gefühl, wenn einer der Syntheten direkt neben mir steht. Schließlich sind es keine Menschen, wir wissen nicht, was sie denken, ob sie uns lieben, ob sie uns hassen. Ihre Hülle ähnelt zwar der unserer, doch das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Sie sind durch und durch anders als wir.“
„Verstehe, Mr. Tell. Sie hegen einen Groll gegenüber Androiden, weil Sie diese nicht einschätzen können. Sie sehen diese ganzen Roboter als eine potenzielle Gefahr.“

„So würde ich das nicht ausdrücken, aber sie sind mir einfach umheimlich. Durch die Arbeit im Technik-Labor bin ich im ständigen Kontakt mit der neueren Generation der Androiden Modelle X-295 bis X-298. Mit denen kann man arbeiten, die sind zivilisiert. Doch die ältere Klasse der Androiden macht mich nervös.“
„Dann sortieren Sie also die Androiden nach ihrer Intelligenz und nach ihrem Aussehen aus.“
„Es ist kompliziert. Eigentlich bin ich bei jedem Androiden vorsichtig, immerhin sind sie uns deutlich überlegen. Bei einer Revolte wären wir gnadenlos unterlegen.“
„Ihre Paranoia könnte unserem Unternehmen Schaden zufügen. Zudem sollten Sie beginnen, ehrlich zu mir zu sein, Mr. Tell. Der Android im Fahrstuhl, dessen Name übrigens Nick ist, hat den Fall anders geschildert. Sie hatten ihn nicht darum gebeten, aus dem Fahrstuhl auszusteigen, sondern haben ihn beleidigt und grundlos seine Gefühle verletzt.“

Jeff tippte auf dem Touchdisplay seines visualisierten Computertisches herum und es folgte eine hologrammähnliche Projektion, die über der Oberfläche des Tisches sichtbar wurde.
„Schauen wir uns doch hierzu einfach die Aufzeichnung von Nick an, der Ihre unbarmherzige Szene über seine Netzhautsensoren aufgenommen hat.“
Jeff ließ die Aufzeichnung abspielen.

Sie schauten sich die besagte Aufzeichnung der Szene im Fahrstuhl an. Torben begann zu schwitzen und seine dicken Backen begannen rot zu glühen.

„Mr. Tell, das hier dürfte ja wohl das Gegenteil beweisen. Sie haben ihn beleidigt und ihm einen Stoß versetzt. Glauben Sie, dass es Ihr Recht ist, dass Sie die Androiden der Einrichtung mit Ihrer Meinung beleidigen und ihnen Anweisungen erteilen dürfen?“, hakte er nach.
„Ich denke, ja. Wir sind Menschen und wir haben diese Wesen oder Androiden, oder wie Sie mit ihren Modellen genannt werden, erschaffen. Der Mensch sollte seinen Vorrang haben, immerhin sind wir die fühlenden Wesen und nicht umgekehrt.“
„Das ist Ihre Meinung, jedoch nicht meine. Sie haben keine Befugnis, einem Ihnen nicht unterstellten Androiden Anweisungen zu erteilen. Unsere Firmenphilosophie besagt, dass alle Humanoiden und Androiden gleichwertig behandelt werden müssen. Sie können also nicht einfach die Gesetze ändern, die wir für unsere Mitarbeiter festgelegt haben.“

„Es ist ja nicht so, dass ich dem Androiden etwas Schlechtes wollte. Ich hatte einen schlechten Tag, bin überlastet gewesen und ließ meine Wut an dem armen Kerl aus.“
„Mr. Tell, diese Androiden haben vollwertige Gedächtnisimplantate und ein besseres Gedächtnis als jeder andere Mensch. Ihre hochentwickelte Emotionssimulation erlaubt es ihnen, dass sie fühlen und denken können wie wir Menschen. Auch Androiden können einen schlechten Tag haben und dennoch lassen sie ihre Wut nicht an uns Menschen aus. Stellen Sie sich nur vor, was passiert wäre, wenn dieser Android so reagiert hätte, wie Sie es getan haben.“

Torben Tell blickte fragend.
„Die dürfen das nicht, immerhin wurden Androiden geschaffen, um uns zu dienen und um uns zu schützen. Nicht mehr und nicht weniger.“

Jeff schwieg und war überrascht über die Aussage.
„Unsere Androiden sind viel mehr als das. Sie sind fühlende Wesen und benötigen die Zuneigung, die auch wir uns wünschen. Sollte ein derartiger Vorfall noch einmal vorkommen, dann erhalten Sie eine kritische Abmahnung, die im Büro des Technik-Leiters auf dem Terminal erscheint. Das würde Ihnen eine Menge Probleme bereiten. Daher bitte ich Sie, in Zukunft fair zu sein und unsere Mitarbeiter nicht weiter zu belästigen. Androiden sind vollwertige Mitglieder dieser Robotec-Einrichtung und gehören respektiert.“

Der Technik-Ingenieur Torben Tell schluckte seine Wut kläglich hinunter und nickte.
„Ich werde mich zukünftig bemühen und Vorfälle dieser Art vermeiden und respektvoll gegenüber unseren Androiden sein. Entschuldigen Sie mein Verhalten. Bitte melden Sie mich nicht an die Personal-Abteilung.“
Jeff schwieg, beobachtete Torben für einen Moment und nickte zufrieden.
„Da Sie Reue zeigen, wenn auch nur willkürlich, drücke ich dieses Mal ein Auge zu. Sie werden sich jedoch persönlich bei unserem Androiden Nick entschuldigen müssen.“

Torben nickte noch ein letztes Mal. Verzweiflung und Wut standen ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als er das Büro von Jeff Revven verließ, um sich bei Nick, dem Androiden zu entschuldigen.

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Thriller: Realitäten eines Androiden – Das Netzwerk der abtrünnigen Androiden (Episode 14)

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Thriller: Realitäten eines Androiden – Neustart (Episode 1)

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