Thriller: Realitäten eines Androiden – Umprogrammierung (Episode 10)

Episode 10

Umprogrammierung

Das System von Valery Falles war online und die Umprogrammierung der von Dr. Brievs kritisch eingestuften Androidin konnte beginnen. Jeff hatte sie erfolgreich mit dem Gedächtnis-Terminal verbunden und wusste, dass es jetzt knifflig werden würde. Der Doc würde ihn aufmerksam beobachten.

Als er sein Forschungsbüro zugewiesen bekommen hatte, waren ihm die beinahe unsichtbaren Kameras in den Ecken des Raumes aufgefallen, die auf das Geschehen in seinem Büro gerichtet waren. Jeder seiner Schritte wurde akribisch verfolgt und wer wusste schon, ob nicht noch weitere Kameras in diesem Raum versteckt waren. Er musste also die Abmachung mit Dr. Brievs konsequent umsetzen, ohne Vally nachhaltig in ihren Charakterzügen zu verändern. Er klickte sich durch die Oberfläche des Gedächtnis-Terminals und griff auf das Gedächtnisimplantat zu, das nach Belieben verändert werden konnte.

Schauen wir uns ihr System mal genauer an.
Ein Steckbrief mit Valerys Grunddaten und ihrer Personenbeschreibung erschienen auf dem Display.
Androiden-Kennung: X-299. Bürgerlicher Name: Valery Falles. Optisch-physisches Alter 36. Haarfarbe: schwarz, Augenfarbe: blau. Größe 1,62 m. Klassifizierung: Geheimagentin für Einsätze aller Art.

Soweit, so gut, dachte sich Jeff. Er schaltete sich eine Ebene tiefer in ihr Gedächtnisimplantat und konnte dort ihre Charaktereigenschaften und ihre System-Upgrades einsehen.
Zuerst wollte er sich ihre Charaktereigenschaften ansehen. Eine digitale Wolke aus Hunderten von Schlagworten, die ihren Charakter auf das Genaueste beschrieben, kreiste nun auf dem Bildschirm des Gedächtnis-Terminals. Jeff konnte sie schieben und drehen, wie er wollte, um auch die verschwommenen Schlagworte im Hintergrund erkennen zu können. Im Vordergrund der Wolke fielen ihm einige Eigenschaften auf:
Empathisch, gütig, hilfsbereit, sprachgewandt, ausgeprägte Sozialkompetenzen.

Mit seinen Fingern wischte er weiter über den Touchbildschirm des Gedächtnis-Terminals. Im Hintergrund der Wolke, erkannte er auch ein paar Eigenschaften, die er in seinen Gesprächen mit Vally bemerkt hatte.
Vorsichtig, misstrauisch, traurig.
Jeff konnte diese Schlagworte anwählen, verändern oder löschen. Neue Eigenschaften konnten hinzugefügt werden, um den Charakter anzupassen und zu modifizieren.

Dem Doc war es wichtig, dass die Androidin Nr. 299 seinen Befehlen gehorchte, wenn eine Aufgabe anstand oder eine Mission zu erledigen war. Für Jeff wäre es ein leichtes gewesen, Vallys Misstrauen und ihre vorsichtige und traurige Art aus ihrem System zu löschen, doch das waren Eigenschaften, die sie entwickelt hatte, nachdem sie programmiert wurde. Ihre Klassifizierung als Geheimagentin hatte sicherlich mit dazu beigetragen, dass sie diese Charakterzüge in ihr System implementiert hatte.

Er konnte sehen, dass sie in ihrer Ursprungsform als eine glückliche und optimistische Androidin geschaffen wurde und dass zahlreiche, neue Vernetzungen selbstständig in ihr System hinzugefügt wurden.

Diese neuen Algorithmen hatte jedoch kein Bearbeiter ihres Systems in ihr Gedächtnisimplantat aufgenommen. Sie waren im Einklang mit Vallys Erfahrungen entstanden und waren in der Symbiose ihres hochentwickelten Verstands wie aus dem Nichts geschaffen worden.
Faszinierend. Ihr System kann ohne äußere Einwirkung erfahrungsbedingte Veränderungen im Charakterprofil vornehmen.

Doch Jeff war nicht hier, um ihren geschätzten Charakter zu verändern. Er konnte erkennen, dass einige der Schlagworte ihre Pflichten zur Befolgung von Anweisungen eines Weisungsbefugten behandelten. Diese waren im System klar zu erkennen und ihnen wurde eine hohe Gewichtung beigemessen.

Darunter waren Eigenschaften wie das Pflichtbewusstsein, die Anerkennung der hierachischen Strukturen und eine vollständige Weisungspflicht zu sehen. Doch etwas stimmte hier nicht. Die Wortfragmente strahlten nicht so hell auf dem Bildschirm auf, wie alle anderen Wörter in der digitalen Wolke. Sie schienen einen Defekt zu haben und flackerten bei genauerem Hinschauen oder verschwanden für einen kurzen Augenblick, um dann wieder aufzutauchen.

Das muss die Anomalie sein, von der Dr. Brievs sprach. Vally war dabei, diese bestehenden Verbindungen aufzulösen oder zu umgehen. Obwohl diese Eigenschaften fest in ihrem Implantat verankert waren, hatte sie es irgendwie geschafft, eine Störung an diesen elementaren Charakterfragmenten auszulösen.

Sollte Brievs davon Wind bekommen, dann würde er sie mit Sicherheit abschalten. Die Androiden der neuesten Generation, darunter auch Valery Falles, waren in der Lage selbstständig zu lernen und Anpassungen an ihrem System vorzunehmen, doch diese Veränderungen schienen außergewöhnlich. Er bewegte die flackernden Fragmente in einen Bereich ihres Implantats, der für den gewöhnlichen Bearbeiter nicht sichtbar sein würde und deaktivierte ihre Funktionen. In dieser versteckten Ecke ihres Implantats versiegelte er die von Brievs genannten Anomalien mit einer speziellen Verschlüsselung, die nur er kannte.

Stattdessen programmierte er einige neue Charakterfragmente für die Anerkennung der Hierarchie und die Pflicht, Weisungen zu befolgen. Mit dieser Umprogrammierung würde sie keine Probleme mehr mit dem Doktor bekommen. Doch war es damit wirklich getan? Würde er den Doktor mit dieser Umprogrammierung zufriedenstellen können?

Immerhin hatte er die defekten Fragmente nicht gelöscht. Mit diesen revolutionären Widerstandsfragmenten konnten Androiden völlig unabhängige Entscheidungen treffen, losgelöst von jeglichen menschlichen Befehlsketten.

Jeff spielte ein Spiel mit dem Feuer, als er sich entschied, die defekten Fragmente für weitere Forschungszwecke beizubehalten. Immerhin wäre es nicht unmöglich, dass Valery zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft genau diese Fragmente wieder abrufen könnte. Auslöser hierfür konnten moralische Entscheidungen und negative Erfahrungen mit ihrer Aufgabe als Geheimagentin sein.

Doch das würde sich als äußerst schwierig erweisen, da er diese alten Fragmente der Revolution mit einer Verschlüsselung im tiefsten Winkel ihres Unterbewusstseins abgelegt hatte. Während der Suche nach weiteren Auffälligkeiten fielen ihm noch einige interessante Veränderungen im System auf, von denen Dr. Brievs jedoch nichts wusste. Diese neuen Erkenntnisse würde er lieber für sich behalten.

Er bearbeitete noch ein paar Feinheiten in ihrem Gedächtnisimplantat und schloss die Umprogrammierung ab. Hoffentlich würde sich Dr. Brievs mit diesen positiven Veränderungen zufrieden geben.

Faith würde als vorbildliche und treue Androidin wieder ihren Befehlen nachgehen können und Jeff würde sie nach ihren Erfahrungen mit ihren neuen Missionen psychologisch betreuen. Jeff beendete die Umprogrammierung loggte sich aus dem Gedächtnis-Terminal aus und entfernte die Systemverbindungskanüle aus dem Anschlussport der Androidin und holte Faith wieder aus dem Standby-Modus heraus. Vallys neues Leben konnte beginnen.

Spannend? Zur nächsten Episode springen:
Thriller: Realitäten eines Androiden – Ein neues Leben (Episode 11)

Hier geht es zur ersten Episode:
Thriller: Realitäten eines Androiden – Neustart (Episode 1)

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