Thriller: Realitäten eines Androiden – Simuliertes Glück (Episode 2)

Episode 2

Simuliertes Glück

Projekt 301 war der ganze Stolz von Dr. Brievs. Er hatte monatelang an dieser Simulation gearbeitet, um eine möglichst reibungslose Umsetzung im Alltag zu gewährleisten. Für den Androiden Jeff hieß das, dass die Fassade seines Lebens authentisch wirken musste. Keine Unstimmigkeiten und keine Fehler im System, die den Androiden misstrauisch machen sollten. Glück und Zufriedenheit als rettende Anker des Lebens. Jeff sollte davon ausgehen, dass alles war, wie es war. Und dass es sich gut und nachvollziehbar anfühlen würde.

Dafür hatte Briev mit seinen engsten Beratern an diesem Programm getüftelt und gefeilt. Sie hatten Optimierungen an seiner Vorgeschichte vorgenommen, ihm einen Gedächtnischip implantiert, der hieb- und stichfest war. Dr. Brievs hatte Zugriff auf alle Informationen, die sie in seinen Computer eingespeist hatten. Diese konnte er bequem von seinem Computerterminal aus abrufen und sogar verändern, wenn es die Umstände nötig machten. Das Experiment konnte beginnen. Und Briev konnte sich jederzeit live in das Netzwerk von Jeff hinzuschalten, um zu sehen, was seine Schöpfung sah. In wenigen Minuten würde die Show beginnen. Und der Forscher würde seine Schöpfung auf Schritt und Tritt verfolgen.

Ein letztes Mal schaute sich der Forschungsleiter den Lebenslauf und die Eckdaten von „Jeffrev-X“ alias Jeff, seinem Superandroiden an: Jeff Revven, 37 Jahre alt, verheiratet mit Lorna Revven, zwei Kinder mit dem Namen Ben und Sonja. Ben war 14 Jahre alt und der jüngere der beiden Geschwister. Die ältere Schwester Sonja war 16 Jahre alt und der Liebling der Familie.

Jeff hatte einen neuen Job in der psychologischen Abteilung einer Robotec-Firma erhalten und sollte die Entwicklungen der Humanoiden und Androiden überwachen. In privaten Gesprächen sollte er das Verhalten der Probanden studieren und einschätzen, ob diese in die menschliche Gesellschaft passten. Seine Aufgabe war es, detaillierte Persönlichkeitsprofile der künstlichen Intelligenzen anzulegen und die Führungsriege bei problematischen Fällen aufzuklären.

Man würde ihm auch den Zugriff auf das Gedächtnis-Terminal gewähren, mit dem er jeden einzelnen Androiden und jeden Humanoiden umprogrammieren konnte, wenn diese nicht nach den vorgeschriebenen Regeln spielten. Doch dazu später mehr.

Alle wichtigen Vorkehrungen für Jeffs Eintritt in Projekt 301 waren getroffen worden. Sein Eintritt in die Simulation würde in wenigen Sekunden abgeschlossen sein. Dr. Brievs lehnte sich entspannt zurück und beobachtete das Spektakel.

Jeff öffnete die Augen und sah sich am Esstisch einer modernen Küche wieder. Sein Blick war auf eine Zeitung gerichtet, die er in seinen Händen aufgeschlagen hatte. Er saß am Tisch und blickte über seine Zeitung hinweg und sah eine bezaubernde, brünette Schönheit, die ihm scheinbar ein Frühstück servierte.

„So mein Lieber, dein Essen ist fertig“, sprach sie freundlich und legte ihm eine Schale mit seltsamen, metallischen Drops in einer durchsichtigen Brühe auf den Tisch.
„Danke, Lorna.“
Woher kannte er ihren Namen? Und was war das für eine Nahrung, die sie ihm auf den Tisch gestellt hatte?
„Die Kinder müssten auch jeden Moment runter kommen. Wir können von Glück reden, dass du diesen Job bei der Robotec-Firma bekommen hast. Als psychologischer Betreuer der Roboter kannst du einiges bewegen“, erzählte sie ihm nebenbei.
„Das stimmt, die letzten Monate waren hart und wir können das Geld gut gebrauchen“, sagte Jeff aufrichtig.
„Wird schon alles werden, Liebling. Ich werde dafür beten, dass dein erster Tag so verlaufen wird, wie du es dir vorstellst.“

Jeff versuchte seine Gedanken zu ordnen. Für seine Familie würde er alles tun. Lorna, Sonja und Ben waren sein Leben, sein persönliches Glück auf Erden. Als er sich vor ein paar Wochen auf die Stellenanzeige beworben hatte, dauerte es nicht lange, bis sich ein Mann namens Dr. Brievs bei ihm meldete. Er lud ihn zu einem Vorgespräch ein, bei dem er ein Jobinterview führen sollte. Zu seinem Glück verlief das Gespräch angenehm und zufriedenstellend für beide Seiten.

Danach hatte man ihn in die nähere Auswahl einbezogen, um ihm eine Reihe von Prüfungen vorzustellen, die er mit Eifer absolvierte. Man versicherte ihm, dass er mit Bravour bestanden hatte und teilte ihm im abschließenden Gespräch mit, dass sie ihn für die neue Stelle des psychologischen Betreuers einstellen wollten.

„Schatz, du hast dein Frühstück ja noch gar nicht angerührt“, stellte Lorna fest, als sie ihn aus seinen Gedanken riss.
„Ich habe keinen Hunger, glaube ich.“
Jeff wusste immer noch nicht genau, was für ein Gericht das sein sollte. Sollte er die metallischen Drops einfach runterschlingen?
„Die Energie wirst du brauchen, Schatz. Aber du wirst am besten wissen, was gut für dich ist.“

Mit dem Löffel rührte er in der seltsam anmutenden Flüssigkeit mit den metallisch glänzenden Drops herum. Als er einen halben Löffel von den klebrigen Drops hinunterschlürfte, fühlte er einen plötzlichen Energieschub in seinen Zellen. Es fühlte sich an, als ob er aufgeladen wurde. Die Drops schienen ihn mit frischer Energie zu versorgen. Also aß er weiter und seine Programmierung vermittelte ihm den Eindruck, als ob dieser Sud nach einem herzhaften Müsli schmeckte.

„Du hast recht, Lorna. Es schmeckt mir und macht mich vor allem fit.“
Lorna lächelte ihm zu und gab ihm einen Kuss auf die Backe, als die Kinder die Treppe hinunterrasselten.
„Morgen, Kinder. Kommt und setzt euch zu uns. Euer Vater hat heute seinen ersten Tag.“
Sonja rannte zu ihrem Vater und umarmte ihn lächelnd und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Hallo Papa, ich wünsche dir viel Glück an deinem ersten Tag.“
„Danke, liebes. Das werde ich brauchen.“

Ben und Sonja setzten sich zu ihm an den Tisch und bekamen ihr Frühstück serviert.
„Wie geht es dir, Papa?“, fragte ihn Ben fröhlich.
Jeff war sichtlich gerührt darüber, dass seine Kinder sich so für ihn interessierten.
„Soweit geht es mir gut, Ben. Und du freust dich auf die Schule?“
„Ich denke schon, wir haben noch einige Klassenarbeiten vor uns. Es wird eine harte Woche.“
„Du wirst das schon schaffen, Sohn. Wenn du Hilfe beim Lernen brauchst, kann ich dich dabei unterstützen.“
Ben freute sich darüber.
„Gerne, Vater. Das ist nett von dir.“

Sie unterhielten sich noch eine Weile und Jeff war aufgefallen, dass seine Kinder etwas Anderes aßen. Er erkannte Haferflocken, Rosinen, Schokostücke und Bananenchips, die im Müslibecher in Milch schwammen. Lorna fuhr die beiden Kinder in die Schule und Jeff machte sich auf den Weg zu seiner neuen Arbeitsstelle. Seine Gedanken rasten. Irgendetwas stimmte hier nicht. Das Glück, das er in seinem momentanen Leben hatte, schien viel zu perfekt. Doch er würde es früh genug herausfinden.

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