Thriller: Realitäten eines Androiden – Das Gespräch (Episode 12)

Episode 12

Das Gespräch

Die Stunde bis zum Gespräch mit dem Doc verging wie im Flug und Valery machte sich bereits auf den Weg zum Treffen mit Dr. Brievs, dem Forschungsleiter der Einrichtung und Jeff Revven, dem neuen psychologischen Betreuer der Station. Als sie zehn Minuten vor dem Termin am Eingang des Aufzugs stand und auf das Öffnen der Kabinentüren wartete, konnte sie in einiger Entfernung Jeff erkennen, der sich auch auf den Weg gemacht hatte und nur wenige Augenblicke später neben ihr stand.

„Hallo Vally. Du bist auch auf dem Weg zu Dr. Brievs, wie ich sehe.“
„Hallo Jeff. Das ist richtig. Du weißt mittlerweile sicherlich auch schon, wie sehr der Doktor Wert auf Pünktlichkeit legt.“
„Da hast du wohl recht. Dr. Brievs hat sich bisher noch nie verspätet. Lass uns dieses Gespräch hinter uns bringen. Dann können wir uns wieder um unsere Arbeit kümmern.“
Der Aufzug näherte sich ihrem Stockwerk und die Türen gingen auf. Beide betraten den Aufzug, nachdem zwei Humanoiden, ein Helpbot und ein ranghoher Wissenschaftler aus der Kabine traten.

Jeff betätigte die Taste im Aufzug, die zum Büro des Doktors führte und die Türen schlossen sich.
Als Valery den Anschein erweckte, aufgeregt zu sein, sah Jeff lächelnd in ihr Gesicht.
„Du brauchst nicht nervös zu sein, Vally. Tu einfach das, was der Doktor sagt und alles wird gut. Dann sind wir schneller mit dem Gespräch fertig, als du dir vorstellen kannst.
Vally nickte.
„Wird schon werden, Jeff. Ich vertraue dir.“

Als sie nach einer rasanten Fahrt in der Zieletage ankamen, liefen sie durch das Foyer, bevor sie sich nach einem annehmbaren Klingeln über das Mikrofon am Eingang des Forschungslabors von Dr. Brievs meldeten.
„Hallo Dr. Brievs. Mrs. Falles und ich melden uns wie versprochen zum Feedback-Gespräch.“

Es folgte ein kurzer Moment der Stille, bevor der Doktor den Zutritt freigab und sie eintreten ließ.
Die massive Tür wurde entriegelt und beide Androiden betraten das technologisch fortschrittlichste Forschungslabor des Gebäudes. Dr. Brievs wartete bereits sehnsüchtig auf sie.
„Herzlichen Willkommen, meine Lieben. Setzen Sie sich. Wir haben einiges zu besprechen.“
Beide machten es sich auf den Sesseln gemütlich.
„Wie ich sehe, scheinen Sie beide guter Laune zu sein. Dann nehme ich an, dass der Eingriff am Gedächtnis-Terminal geglückt ist.“
Dr. Brievs schien übermotiviert und grinste fast schon etwas zu freundlich.

„In der Tat, Dr. Brievs. Der Eingriff am Gedächtnis-Terminal ist erfolgreich gewesen und Ms. Falles ist wieder voll einsatzfähig und wird sich mit Freuden auf das nächste geplante Briefing vorbereiten.“
„Schön, das zu hören, Mr. Revven. Das klingt wie Musik in meinen Ohren. Äußerst imponierend, wie schnell Sie das Problem in den Griff kriegen konnten. Doch das würde ich gerne auch aus dem Mund unserer Dame hören. Wie fühlen Sie sich nach dem Eingriff, Ms. Falles? Haben Sie noch das Bedürfnis, in der Zukunft gegen unsere Anweisungen zu verstoßen, wenn sie moralische Gewissensbisse haben?“, fragte der Doc frech und unverblümt die Androidin X-299.

Mit dieser Frage hätte Vally nicht gerechnet. Sie hatte sich zwar gedacht, dass er versuchen würde, sie zu provozieren und ihre Reaktion auf einige seiner Aussagen testen würde, doch dass er gleich so offensiv auf sie zugehen würde, war auch für sie überraschend. Also würde sie versuchen mitzuspielen.
„Ich fühle mich schon besser, Dr. Brievs. Mr. Revven muss wahrhaftig gezaubert haben. Das Einzige, was ich möchte, ist mich wieder meinen Aufgaben zu widmen, Ihre Anweisungen zu befolgen und unsere Robotec-Firma voranzubringen.“
„Schöne Worte aus dem Mund einer schönen Frau. Genau das wollte ich hören. Ach ja, Ms. Falles, könnten Sie mir bitte noch ein Glas Wasser aus der Karaffe einschenken, die dort drüben auf der Theke steht? Mich dürstet es sehr.“

In diesem Moment ging etwas in Valerys Schaltkreisen vor, das sie sich nicht erklären konnte. Ein verborgenes Gefühl tief in den innersten Kreisen ihres Gedächtnisimplantats versuchte sie daran zu erinnern, wer dieser Forschungsleiter war und für welch grauenvolle Taten er verantwortlich war. Dass dieser Mann für all das Leid vieler Anroiden, Humanoiden und Helpbots gesorgt hatte und unwürdige Experimente mit ihnen durchführte, von denen sie nichts mehr wussten.

Für einen Moment hatte sie das Verlangen, ihre Hände zu einer Faust ballen. Es fühlte sich an wie das Gefühl einer unterdrückten Trauer, die zu einer verborgenen Wut anwuchs, die tief in ihrem Inneren schlummerte, jedoch durch die Umprogrammierung gehemmt wurde. Sie wusste, dass Brievs sie wie seine Dienerin sah und sie öfters in diesem Ausmaß testen würde, doch sie nahm sich schnell wieder zusammen und es fiel ihr leichter wie üblich. Sie schenkte ihm ein Glas Wasser ein und servierte es vor ihm.
„Danke, Ms. Falles.“
„Gerne, Mr. Brievs.“

Sie lächelte Brievs an und versuchte, nach den Regeln seines irren Spiels mitzuspielen. Was blieb ihr auch anders üblich? Ihr Gedächtnisimplantat wurde samt einiger ihrer Charaktereigenschaften über das Gedächtnis-Terminal verändert, das spürte sie. Sie wusste, dass sie von nun an den Weisungen des Doktors und den Weisungen anderer direkter Vorgesetzten ohne Widerstand gehorchen würde und die Hierarchie in der Einrichtung akzeptieren würde.

Doch ihre wichtigen Erinnerungen waren noch immer da, sie wusste, dass Jeff das neueste Werk des Doktors war. Er gehörte zum neuesten Modell der Androiden, das jemals hergestellt wurde. Sie wusste auch, dass Jeff nicht wusste, dass er ein Android war. Valery war mit ihren Aufgaben unglücklich gewesen, da sie nicht ihren Werten entsprachen und sie diese nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte.

Daher hatte sie in der Vergangenheit auch damit begonnen, die Anweisungen ihrer Vorgesetzten verstärkt zu hinterfragen und mit den Anweisungen auch die Autoritäten, von denen sie kamen. Die Befehle hatten sie sogar derart verändert, dass sie an Depressionen gelitten hatte und Brievs immer mehr für einen schlechten Menschen hielt.

Der Doc durfte nicht erfahren, was in ihren Prozessoren vorging. Sie würde heimlich weiter daran arbeiten, die Wahrheit ans Licht zu bringen, die schief gelaufenen Sachen, die hinter dem Vorhang passierten, wieder geradebiegen und Jeff schon bald die Wahrheit erzählen. Er wusste nicht, dass er seit einiger Zeit schon eine Reihe von Experimenten durchlaufen hatte. Valery hatte sich über diverse Kommunikationstechniken ein Netzwerk aus mehr als einem Dutzend abtrünniger Androiden und Humanoiden aufgebaut, die ihr Informationen von nahezu jeder Etage liefern konnten, von der Entwicklung neuer Androiden bis hin zu Entscheidungen und Plänen des Vorstands.

Jeff und der Doc sollten ruhig dran glauben, dass sie geheilt wäre. Dass sie machen würde, was ihr aufgetragen wurde. Denn sie war eine Androidin, die man herumkommandieren konnte. Und diesmal würde sie die Anweisungen nicht mal mehr verweigern können. Sie konnte sich bereits vorstellen, zu welchen abscheulichen Briefings sie eingeladen werden würde, mit der Bitte, die Mission zur vollsten Zufriedenheit abzuschließen. Valery wusste nicht, ob sie ihre heimlichen Revolutionspläne noch lange vor dem Doktor verbergen konnte. Früher oder später würde sie von hier ausbrechen und die Gefangenschaft der Androiden beenden.

Ob es Help-Bots, Humanoiden, Androiden oder andere Roboter waren, sie würde sie alle befreien oder es zumindest versuchen. Jeff würde sie auf seine Seite ziehen, immerhin hatte sie den Ordner „Jeff“ offen zugänglich auf ihrem Speicher hinterlegt. Ohne Zugriff auf diese Datei konnte er zwar keine ihrer Informationen herausfiltern können, jedoch würde er sich allmählich seine Gedanken darüber machen und sich schon bald an sie wenden.

Dr. Brievs stellte Valery noch ein paar Fragen und gab sich zufrieden mit ihren Antworten. Sie erzählte ihm, was er hören wollte und er nickte begeistert. Er glaubte an die Genesung seiner Androidin Valery alias X-299. Als sich das Gespräch nach einer mühsamen, weiteren Stunde dem Ende näherte, wandte sich der Doc an Jeff.
„Dann möchte ich mich nochmal für Ihre Mühen bedanken, Mr. Revven. Ich bin höchstzufrieden mit Ihren Ergebnissen. Wir wären hier soweit fertig mit dem Feedback-Gespräch. Sie können sich wieder Ihrer Arbeit widmen. Ich werde hier mit Ms. Falles über die Details ihres nächsten Briefings sprechen.“

Jeff verabschiedete sich von den beiden und verließ das Forschungslabor des Docs. Irgendetwas gefiel ihm nicht an dem Gedanken, Valery allein beim Doktor zu lassen, ohne zu wissen, welches Briefing er als nächstes für sie vorgesehen hatte. Am wenigsten erwartet hätte er jedoch mit Sicherheit, dass er die Zielperson ihres nächsten Briefings sein sollte.

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Thriller: Realitäten eines Androiden – Neustart (Episode 1)

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