Thriller: Proband Nr. X-100 – Der Countdown im Waldhaus (Kapitel 2)

2. Kapitel

03:30 Uhr – Der Countdown im Waldhaus
7 Stunden vor dem Ausbrechen der Viren – Stufe 1

Lloyd lief zurück zur Eingangstür und vergewisserte sich, ob das Geräusch wirklich durch eine Automatikschaltung am Schloss ausgelöst wurde. Tatsächlich befand sich neben der Türe eine nahezu unsichtbare Leitung, die mit dem Eingang verbunden war. Lloyd versuchte die Tür zu öffnen. Sie war wie erwartet verschlossen und er saß fest.

Er schaute sich die Türe genauer an. Immerhin war ein Schlüsselloch vorhanden. Der zugehörige Schlüssel wartete vermutlich irgendwo in der Hütte auf ihn.

Lloyd musste ihn finden und bemerkte, dass das eintönige Klicken immer noch in seinen Kopf drang. Das Geräusch kam aus dem kleinen Zimmer, dem er sich seit dem Eintreten immer noch nicht genähert hatte. Es war wahrscheinlich, dass der Schlüssel sich dort drin befinden würde. Ihn erwartete das Unerwartete. Mit zittrigen Händen näherte er sich wieder dem Raum und schob das massive Bett beiseite. Nach einigen Bemühungen hatte er es geschafft.

Lloyd drückte die Klinke herunter. Es ertönte ein sanftes Klicken. Er trat in den Raum hinein und erkannte, dass es sich um das Bad der kleinen Hütte handelte. Der Raum wurde von einer Leuchtröhre beleuchtet, die über einem Waschbecken an einem Spiegelschrank angebracht war.

Die Toilette ist wohl schon seit längerer Zeit nicht mehr benutzt worden, dachte sich Lloyd, da der Anblick von vertrockneten Fäkalien einen Würgreiz in ihm auslöste. Als er die Spülung betätigen wollte, wartete er vergeblich auf das befreiende Geräusch des fließenden Wassers.

Er bemerkte, dass drei Fotografien am Spiegelschrank angebracht waren. Als Lloyd sie sich näher anschaute, wurde sein Gesicht bleich. Er beobachtete seine vor Angst aufgeweiteten Augen im Spiegel, als er erkannte, dass es sich bei den Personen auf den Fotos um ihn selbst handelte.

Das erste Foto zeigte ihn als Kind. Darauf trug er ein T-Shirt mit Motiven einer Zeichentrickserie, eine Jeans und ein Jäckchen. Das Bild war professionell abgelichtet worden, wie es in Fotostudios üblich war. Seine Eltern hatten dieses Foto vor Jahrzehnten beauftragen lassen.

Das zweite Foto zeigte ihn als heranreifenden Erwachsenen, der gerade einmal achtzehn Jahre alt war, mit sportlicher Bekleidung, einem gepflegten Aussehen und einem schüchternen Grinsen auf den Lippen.

Das letzte Foto zeigte ihn in seinem jetzigen Alter, in seinem Auto sitzend. Ein Foto, das von der Profilansicht geschossen wurde. Lloyd begann zu schwitzen. Dieses Foto konnte er nicht identifizieren. „Sie haben mich verfolgt“, sprach Lloyd entgeistert zu sich selbst.
Die Bilder waren der Beweis dafür, dass man ihn heimlich beobachtet und fotografiert hatte.

Er wurde wütend und konnte sich nicht erklären, wieso ausgerechnet er die Person war, der so ein Unglück passieren konnte. Mit rasenden Gedanken bemerkte er, dass das Klicken immer noch da war. Die Geräusche kamen aus dem Spiegelschrank. Er öffnete ihn und konnte seinen Augen nicht trauen. In dem Schrank war ein Bildschirm zu erkennen, der mit einem flachen und kompakten Tower verbunden war. Dieser war zusätzlich an ein weiteres Gerät angekoppelt. Bei genauerem Betrachten erkannte Lloyd die Absicht der Konstruktion. Lloyd berührte den Bildschirm. Dieser begann sich zu erhellen. Nachdem er den Rechner aus dem Standby-Modus versetzt hatte, strahlten ihm große Ziffern entgegen, die kontinuierlich rückwärts zählten. Er schaute sich den Tower genauer an. Rings um das Gehäuse befanden sich Kabel und Leitungen, die zu rechteckigen Kästen führten.
Konnten das Sprengsätze sein?

„Diese Leute haben nicht gelogen! Sie haben es wirklich auf mich abgesehen“, sagte er mit verlorener Stimme. Es handelte sich mit höchster Wahrscheinlichkeit um eine explosive Falle, die ihn nur noch Minuten von seinem bevorstehenden Tod trennte.

3 Minuten und 9 Sekunden.

Die Zahlen leuchteten in roter Farbe.

Mit einem Mal wurde der Countdown minimiert und erschien nur noch in der rechten, oberen Ecke des Bildschirms. In die Mitte des Monitors wurde eine Nachricht eingeblendet:

Countdown

„Wie Sie unschwer erkennen können, sind wir nicht zu Scherzen aufgelegt, Mr. Braxton. Sie haben bereits erfahren, dass Sie mit einem Virus infiziert wurden.

Dieses Virus wird Ihnen Ihr Gedächtnis rauben. Mit der ersten Stufe verteilen sich die Viren in Ihrem Organismus. Die Viren wandern durch ihren Blutkreislauf und nisten sich in Ihrem Körper und in Ihrem Gehirn ein. Dieser Vorgang dauert daher etwa acht Stunden.

Erst dann beginnt der eigentliche Prozess des Gedächtnisverlusts. Bis diese künstliche Demenz eingeleitet wird, haben Sie noch etwas Zeit. Sie sollten also zügig handeln und ihr Ziel stets im Auge behalten.

Um ihr noch vollständiges Gedächtnis zu überprüfen, wollen wir Sie mit unserem ersten Überlebenstest konfrontieren. Nach ihrem Eintritt in diese Hütte wurde der Countdown dieser ausgeklügelten Sprengsätze aktiviert. Das Geräusch, das Sie bereits vor dem Eintritt in die Hütte gehört haben, war eine Attrappe, um Sie in das Gebäude zu locken.

In der rechten Ecke dieses Bildschirms können Sie Ihre restliche Zeit einsehen. Sie haben es in der Hand, diese Aufgabe lebend zu bewältigen. In dem linken Nebenfach des Spiegelschrankes befindet sich ein Umschlag. Dieser beinhaltet Fotos aus der Kindheit verschiedener Mädchen. Unter diesen Fotos befindet sich eine Fotografie aus der Kindheit Ihrer Frau.

Ihr Ziel ist es, herauszufinden, wie gut Sie Ihre Frau kennen. Versuchen Sie das Bild Ihrer Frau ausfindig zu machen. Dazu wäre es natürlich vorteilhaft, wenn Sie sich während Ihrer Ehezeit auch mit der Vergangenheit Ihrer Frau befasst haben. Falls nicht, dann müssen Sie eben raten. Ihr Leben hängt davon ab. Auf der Rückseite des richtigen Fotos ist der passende Code für Ihre Rettung. Sollten Sie aber den Code eines falschen Fotos eingeben, dann ist Ihr Test zu Ende, bevor er überhaupt richtig begonnen hat.

Nachdem Sie sich entschieden haben, können Sie über das Berühren des Quadrats in der linken, unteren Ecke ein Zahlenfeld auf das Touchdisplay rufen. Über diesen geben Sie dann ihre zwölfstellige Zahlenkombination ein, um das Detonieren der Sprengsätze zu verhindern.

Menschen verändern sich, Mr. Braxton. Beziehen Sie das mit in Ihre Entscheidung ein.“

Lloyd las die Nachricht zügig. Als er bemerkte, dass ihm nur noch 2 Minuten und 11 Sekunden blieben, griff er hektisch zu dem Umschlag mit den Fotos. Unter diesen Fotos sollte sich also ein Bild seiner Frau befinden. Er fluchte laut auf, da er sich nicht ein einziges Mal mit seiner Frau hingesetzt hatte, um die Alben ihrer Kindheit durchzuschauen, obwohl sie so viele davon hatte. Sein Puls stieg in die Höhe, als er sich die zahlreichen Fotos anschaute. Er rief sich in Gedanken, was ihm seine Frau über ihre Kindheit erzählt hatte.

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