Thriller: Seelenfall – Übergang (Episode 14)

Episode 14

Übergang

Der Übergang würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Es blieb nicht mehr genug Zeit, um darüber nachzudenken. Jordan war kurz davor, die Kontrolle zu verlieren. Nur noch wenige Minuten und es würde zu spät sein. Faith würde dann in einer verfremdeten und höchst halluzinogen-manipulierten Welt feststecken und für Stunden in einer Art visueller Traumwelt abgeschottet werden.

Ein komatöser Zustand war in diesem Fall nicht unwahrscheinlich. Er musste schnell handeln. Faith war scheinbar immer noch davon überzeugt, dass sie baden wollte. Und das mitten in seinem Wohnzimmer. Die Wirkung der Vizauds machte sich immer stärker bemerkbar.
„Hey Babe, ich hol nur mal schnell zwei Badetücher für uns.“
Faith schaute Jordan an und strahlte.
„Prima Idee! Bring bitte noch einen Fruchtsaft mit, mein Süßer.“
„Selbstverständlich. Warte hier auf mich“, sagte Jordan und sprang in die Küche.

Das war seine Chance. Er konnte ihr den Orangensaft ohne Probleme servieren. Und mit seinem Vitaminpulver wäre sie rasch wieder auf den Beinen. Als er in der Küche war, goss er schnell das Glas voll und bereitete sein wundersames Vitamingemisch für sie vor. Gerade als er durch die Tür lief, hörte er plötzlich ein Klirren im Wohnzimmer.

Das war kein gutes Zeichen. Faith war wohl gerade dabei, etwas Unvorhersehbares anzustellen. Als er nach ihr schaute, hatte sie eine der gefährlicheren Scherben vom Boden aufgehoben. Das Glas war zuvor auf dem Boden zerschellt, weil Faith ihn überraschenderweise mit einem Sprung attackiert hatte. Sie hielt die scharfe Glasklinge in seine Richtung und schaute ihn entsetzt an.

„Komm mir nicht zu nahe, Jordan…“
Jordan blieb auf der Stelle stehen. Das konnte unangenehm für sie beide enden. Er musste vorsichtig vorgehen.
„Ruhig, Faith. Ich will dir nur deinen Saft bringen. Weißt du noch, du wolltest schwimmen gehen“, antwortete er, um ihr zu zeigen, dass er ihre Wahrheit als seine anerkannte.
„Das stimmt.“
Faith strahlte ihn glücklich an.

Sie war sowas von daneben.
Jordan musste es jetzt schaffen. Bis zum Übergang würde es nicht mehr lange dauern. Ihre Hand, in der sie die Scherbe umklammerte, fing an zu bluten. Die ersten Tropfen machten sich bereits auf den Weg zum Boden und verteilten die rote Farbe auf seinem Teppich.

„Komm Faith, lass uns jetzt schwimmen. Ich breite schon mal die Decke aus.“
Er bewegte sich ruhig und entspannt. Jordan wollte, dass sie sich in seiner Wohlfühlzone in Sicherheit wiegte.

Nachdem er die Decke auf dem noch freien Platz ausgebreitet hatte, bittete er sie, sich zu ihm zu setzen. Faith gehorchte lächelnd und machte es sich neben ihm gemütlich. Kuschelnd und mit der Scherbe in der rechten Hand, schlang sie ihren Arm um seine Schulter. Nur einen Finger breit davon entfernt starrte Jordans linkes Auge auf die Scherbe, die ihm soeben beinahe das Auge aufgespießt hatte.

Obwohl sie noch vor wenigen Momenten Angst vor ihm gehabt hatte und ihm mit der Scherbe gedroht hatte, schien nun alles vergessen zu sein. Denn jetzt kuschelte sie sich mit einer scharfen Scherbe in der rechten Hand an ihn heran. Blut tröpfelte auf seine Kleidung. Er ließ sich nichts anmerken. Jede falsche Reaktion konnte die Situation eskalieren lassen.

„Babe, es ist schön hier mit dir am See.“
„Das stimmt, mein Süßer.“
Sie blickte ihm in die Augen und es kam Jordan so vor, als versuchte sie etwas darin zu erkennen. Fasziniert sah sie ihn an und blinzelte währenddessen nur wenige Male. Jordan legte seinen Arm zärtlich um ihren und ließ seine Hand langsam über ihre rechte Hand gleiten. Er konnte die Scherbe fast fühlen. Jordan wusste nicht, wie sie durch ihren Trip bedingt reagieren würde. Nach den bereits erlebten Vorfällen traute er ihr fast alles zu. Doch er musste es wagen. Die Verführung konnte ihm vielleicht das Leben retten.

Er begann sie zu küssen. Sie erwiderte genießend seine Küsse. Dabei umfasste er die Scherbe und ließ sie vorsichtig aus Faiths Hand gleiten. Die Scherbe löste sich und Jordan konnte sich endlich um den Orangensaft kümmern.
Beide lagen nebeneinander, sie an ihn herangekuschelt und es schien fast so, als ob sie ein normales Pärchen waren. Die Scherbe ließ er verschwinden, noch bevor sie bemerkte, dass es je eine gegeben hatte.

Der Übergang…ich muss mich beeilen.
Nun musste Jordan Faith nur noch dazu bringen, den Saft zu trinken.
„Schau mal, was ich hier für dich hab, Faith. Etwas zu trinken für die Lady.“
Er nahm das Glas mit dem Saft in die Hand und wollte es Faith reichen.
Doch Faith starrte vor sich auf die Wand und reagierte nicht.

„Trink doch ein bisschen, Liebes.“
Jordan schaute in ihre Augen. Der Blick ihrer Augen war fern, ihr Fokus war nich mehr auf ihn gerichtet.
Jordan war dabei, sie zu verlieren. Er nahm das Glas und richtete es an ihre Lippen.
Bleib bei mir, Faith. Du darfst jetzt nicht gehen.

Er versuchte sie zum Trinken zu animieren, doch nur wenige Tropfen wanderten in ihren Mund.
„Trink jetzt, Faith. Bleib bei mir, hörst du“, versuchte er Faith mit nervöser Stimme bei Bewusstsein zu halten.

Doch Faith war in ihrem eigenen Film gefangen. Sein Versuch, ihr den Saft zu verabreichen, war misslungen. Stattdessen setzte sich Faith wieder in Bewegung. Ihre Augen leuchteten und ihr Blick richtete sich auf etwas, das Jordan nicht sehen konnte.
Der Übergang war vollzogen, als Faiths Augen sich geschlossen hatten.

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