Thriller: Seelenfall – Faiths Neugier (Episode 12)

Episode 12

Faiths Neugier

Ihm war klar geworden, dass er Faith nur retten konnte, wenn er sich von ihr distanzierte. Sie musste so schnell wie möglich hier raus, damit sie nicht seine Tabletten mit dem Namen Vizauds entdeckte. Danach würde er sie sicher vor ihr aufbewahren. So würde sie nie in Kontakt mit den halluzinogenen Tabletten kommen. Die visuelle Erfahrung hinter den Vizauds würde sie nicht gut vertragen. Vor allem jetzt, nachdem sie sich ein paar Drinks genehmigt hatte.

Außerdem konnte er sie nur so vor der Erfüllung seiner Vision schützen. Jordan hatte keine Ahnung, woher er diese Fähigkeit der Visionen plötzlich hatte. Doch er konnte es nicht riskieren, auf die Bewahrheitung dieser Prophezeiungen zu warten. Viel zu groß war der Preis. Er mochte Faith und gerne würde er jetzt mit ihr zusammen auf der Couch entspannen. Das Risiko ihrer Abhängigkeit von diesem auditiven Visualizer würde er nicht eingehen, und gerade weil er sie so mochte, wollte er sie davor schützen.

Als Jordan aus dem WC kam, um Faith mitzuteilen, dass sie gehen musste, lächelte sie ihn strahlend an.
„Wäre es in Ordnung für dich, wenn ich schnell das WC benutze?“, fragte sie ihn überraschend.
Jordan musste umdisponieren, doch es blieb nicht viel Zeit. Vielleicht näherte sich gerade genau dieser Augenblick, an dem es dazu kommen würde, dass sie die Vizauds entdecken würde. Er durfte nicht verlegen wirken, das würde sie nur misstrauisch machen.
„Selbstverständlich, meine Schöne. Ich würde vorschlagen, wir verschieben unseren entspannten und wunderschönen Abend.
Sie blickte ihn erwartungsvoll und freundlich an, doch für einen kurzen Moment entdeckte er Traurigkeit in ihren Augen.
„Ich bin doch recht müde vom vielen Feiern. Und an meinem Neunzehnten will ich nicht den halben Tag verschlafen.“
„Das kann ich verstehen. Ich finde es schade, aber dann sehen wir uns sicher wann anders, Jordan.“
„Auf jeden Fall. Ich verspreche dir, dass wir uns schon bald wieder sehen werden“, antwortete er und lächelte sie an.
„Dann verschwinde ich mal schnell noch auf das WC, um mich zu erfrischen“, sagte sie immer noch freundlich.
„Also gut. Bis gleich, Faith.“
Jordan konnte nur hoffen. Hatte sie etwas bemerkt? Oder hatte sie es ihm abgenommen, dass er sich wie aus heiterem Himmel ein Date mit dieser Schnitte entgehen lassen würde?

Als sie die Türe hinter sich verschlossen hatte, setzte sie sich an den Rand der grauen Badewanne.
Irgendwas stimmt nicht mit ihm. Nachdem er auf der Toilette war, wollte er plötzlich verschwinden. Da muss irgendwas im Bad sein, dass ihm Kopfschmerzen bereitet. Oder etwas, das er vor mir verbergen will.
Mal sehen, was sich in diesem Spiegelschrank verbirgt.
Sie würde etwas finden. Ihr Gefühl sagte ihr das, und diese emotional verlässlichen Sensoren hatten sich bisher noch nie geirrt.

Jordan lief seine Bahnen in dem Wohnzimmer, das er sein Heim nannte.
Hatte sie es geschnallt? Was soll ich nur machen? In das Bad stürmen und sie erschrecken oder sie auf frischer Tat ertappen, wie sie seine Sachen durchwühlte?
Langsam wurde er nervös.

Das, was Faith da in dem Bad gefunden hatte, war ihr unbekannt. Sowas hatte sie noch nie gesehen. Nicht, dass es außergewöhnlich war. Es waren nur kleine, ovale Drops, die aussahen wie Kaugummis, der Überzug dieser bonbonähnlichen Tabletten war glitzernd und kristallähnlich.
Sind das Kaugummis? Oder war das eine Art Medikament oder Droge?

Sie waren in einem durchsichtigen Beutel verstaut, der sich in einem Behälter befand.
Was tat sie da überhaupt? War es richtig, so neugierig zu sein? Sie wühlte schließlich gerade in dem Zeug eines anderen herum. Wie ungezogen sie doch war. Sie würde damit aufhören und das sofort.
Vielleicht war der arme Kerl auch nur krank. Oder es sind einfach nur Kaugummis.

Faith lachte leise glucksend. Sie war immer noch ziemlich betrunken. Heute hätte sie besser den Alkohol weglassen sollen. Sie würde es nie wieder trinken. Oder etwa doch? Sie wusste es nicht.
Eins dieser Prachtstücke nehm ich dir trotzdem weg, lieber Jordan. Um den Wodkageruch zu überdecken.

Sie griff in den kleinen Behälter, in dem sich die Drops befanden und legte sich einen auf die Zunge. Danach schluckte sie die Pille und spülte mit Wasser aus dem Wasserhahn nach. Sie wusch sich ihre Hände und verließ das WC. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ihn zu verführen.
Er wollte sie wegschicken. Weil er sein Geheimnis im Spiegelschrank vor ihr verheimlichen wollte. Und nicht weil er zu müde war, wie er sagte. Ein aufgeweckter Junge, dieser Jordan.

Als Jordan sah, wie sie aus der Toilette lief, bewunderte er ihre zauberhafte Schönheit. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, wusste sie nichts von seinen Tabletten.
Freundlich lächelnd und zielbewusst kam sie auf ihn zu und setzte sich elegant wie eine Katze mitten auf seinen Schoß. Und fing an, ihn ungehemmt zu küssen.
Sie hatte die Vizauds also noch nicht entdeckt. Jordan konnte aufatmen.
Doch was Faith da gerade mit ihrem und seinem Körper abzog, war unbeschreiblich gut. Ein Gefühl, bei dem er nicht wollte, dass es aufhört.
Wie konnte er da nur widerstehen?

Die Waffen einer Frau, dachte er für einen Moment, bevor er ihr Küssen entgegnete und sie ebenfalls mit leidenschaftlichen Küssen überschüttete.
Wie sollte er ihr jetzt denn nur kenntlich machen, dass er sie aus seiner Wohnung schmeißen wollte? Er war voll von ihr umgarnt worden und mitten in der wildesten Liebschaft seines noch jungen Lebens.
Dabei wollte er nur Eines.
Sie vor der Erfüllung seiner Vision zu beschützen.

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