Ghosting: Wenn die große Liebe plötzlich zum Geist wird

Ghosting ist eine schmerzhafte Erfahrung für diejenigen, die schon mal damit konfrontiert wurden. Denn beim Ghosting verlässt einen der Partner oder die Partnerin spontan, ohne sich menschenwürdig zu verabschieden. Es gibt keine Erklärungen für das Trennungsvorhaben des Ghosts und somit kein letztes, kapitelschließendes Gespräch, bei dem man das Ganze hinter sich lassen kann. Der Kontakt wird abrupt und vollständig abgebrochen. Dem Opfer des Ghostings wird somit jede Möglichkeit entzogen, sich nach den Gründen der Trennung zu erkundigen. Das ist schwer zu verstehen und wohl schwer zu verkraften. Was bleibt ist der verlustreiche Herzschmerz und Überlegungen, die Opfer des Ghostings jahrelang weiterbeschäftigen können. Ghosting führt dazu, dass betroffene Personen in Ungewissheit zurückgelassen werden und nie wissen, was die ausschlaggebenden Motive waren, die zur kaltherzigen Flucht des Partners führten.

Ghosting – Wenn die Beziehung zur nostalgischen Illusion und der Partner zum Geist wird

Was versteht man unter Ghosting?

Wenn sich jemand dazu entschließt, eine andere Person zu „ghosten“, dann hat sie im Hintergrund bereits alle Entscheidungsprozesse getroffen, um die Beziehung oder die Bekanntschaft endgültig zu beenden. Sie hat sich entschieden, dass die Beziehung auf lange Sicht keinen Sinn hat und nicht zufriedenstellend ist. Eine gemeinsame Zukunft möchte man daher ausschließen. Jedoch fällt es dem „Ghost“ schwer, seiner Partnerin zu sagen, dass dieser Schritt notwendig ist. Daher wird eine Methode gewählt, bei der sich der Partner komplett aus dem Beziehungskonstrukt und auch von jeglichen Kontakten mit der Person entfernt und die liebende Person ein für allemal im Ungewissen lässt. So muss keine Rechtfertigung oder Offenbarung stattfinden und der Protagonist kann sich ruhigen Gewissens aus dem Staub machen.

Ghosting geschieht ohne Vorwarnung und ohne Kenntnis des Partners. Es werden keine Erklärungen geliefert, die dem Opfer eine plausible Erklärung für die Flucht hinterlassen. Das Opfer tappt dadurch im Dunkeln.

Der unzufriedene Part der Beziehung lässt sich bis zum letzten Augenblick nicht anmerken, dass er vor hat, für immer zu verschwinden

Beispiel:

Die Beziehung ist harmonisch und alles läuft für unser Ghosting-Opfer eigentlich wie immer ab. Es ist Freitag morgen und das junge Paar ist ziemlich gut gelaunt. Das Wochenende steht schließlich bevor. Beide scherzen amüsiert während dem Frühstück und trinken gemütlich ihren Kaffee. Nie würde sie auch nur im Geringsten erahnen, dass sie ihren Freund an diesem Freitag Morgen zum letzten Mal sehen wird. Ihr Freund und sie haben bereits Heiratspläne geschmiedet und wollen nächstes Jahr heiraten.

Die Initiative ging von ihr aus. Als sie ihn gefragt hatte, hatte er ja gesagt. Doch etwas war in seinem Blick gewesen, das sie nicht hatte deuten können. Doch spielte das eine Rolle? Nur wenige Wochen später hatte er ihr schließlich einen Heiratsantrag gestellt. Seit diesem Zeitpunkt war ihre Beziehung weiterhin harmonisch gewesen. Sie aßen gemütlich auf und machten sich auf den Weg zur Arbeit. Zum Abschied gaben sie sich noch ein Küsschen auf die Lippen. Das sollte die letzte, zärtliche Berührung sein, die sie jemals von ihrem Geliebten bekommen würde.

Nachdem der Ghost aus dem Leben des Partners verschwunden ist, macht sich dieser rar – und meldet sich nie wieder!

Am Abend sollte er zurückkehren und gemeinsam würden sie wie gewohnt zu Abend essen und auf das Wochenende anstoßen. Sie bereitet ihm ein schönes Abendessen vor, legt einen Champagner auf Eis und gibt sich größte Mühen, um ihrem Partner eine Freude zu bereiten. Als er zur gewohnten Zeit nicht Zuhause ankommt, durchfährt sie ein mulmiges Gefühl. Er wird schon kommen, denkt sie sich und wartet sehnsüchtig. Sie wartet und wartet und er lässt sich nicht blicken. Normal meldet er sich immer, wenn bei der Arbeit etwas dazwischen kommt. Doch vergebens. Auf ihre Anrufe reagiert er nicht. Auch seine Eltern scheinen nicht zu wissen, wo er sich aufhält. Sie macht sich Sorgen.

Eiskalt oder feige? Der Ghost, der die Flucht aus der Beziehung ergreift, vermeidet die letzte Auseinandersetzung mit dem Beziehungspartner, um sich schwierige Erklärungen zu sparen

Am nächsten Morgen wacht sie wie gerädert auf. Die Nacht zuvor hat sie fast kein Auge zugedrückt. Sie war unruhig und konnte vor lauter Sorge nicht richtig schlafen. In ihrem Kopf werfen sich Fragen auf: Wieso meldet er sich nicht? Ist ihm etwas zugestoßen? Doch immer noch kein Lebenszeichen von ihm. Die nächsten Tage ist es ähnlich. Sie informiert die Behörden und klappert alle Orte, Bars und seine Arbeitsstelle ab, um mehr über das mysteriöse Verschwinden ihres Geliebten herauszufinden. Sie erfährt, dass er den Job gekündigt hat, dass seine Eltern ratlos sind und dass er wie vom Erdboden verschluckt ist.

Sie beginnt zu recherchieren. Ihre Vermutungen scheinen sich zu bestätigen. Ein Dating-Phänomen namens „Ghosting“. Er hat sie verlassen. Und will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Die nächsten Wochen, Monate und sogar Jahre, werden Tränen an ihren Wangen herabfließen. Ruhelos wird sie sich Gedanken machen und sich fragen, wieso er sie im Stich gelassen hat.

Welche Gründe könnte es für die „Ghosting“-Methode geben? Wie fühlt sich der Ghost im Moment der Entscheidung?

Die Ghosting-Methode ist eine emotional sehr schwierige aber unkomplizierte Variante der Beziehungsflucht. Es gibt mehrere Gründe, die Ghosting für den Ghost plausibel machen könnten:

  • Der Ghost traut sich nicht, seinem Partner oder seiner Partnerin zu mitzuteilen, dass eine gemeinsame Zukunft ausgeschlossen ist.
  • Es soll vermieden werden, dass der Partner emotional verletzt wird
  • Eine relativ unkomplizierte Methode soll geschaffen werden, bei der ein Neuanfang möglich ist
  • Die Beziehung oder Bekanntschaft ist nicht zufriedenstellend für den Ghost
  • Der Ghost hat Bindungsängste und hat Angst vor einer intensiveren und zukunftsorientierten Beziehung
  • Er oder sie bringt es nicht übers Herz, das letzte, bedeutsame Gespräch zu führen, bei dem man die Trennung verkündet, die Anspannung wäre zu groß
  • Der Verlassende ist selbst emotional sehr aufgewühlt und kann nur durch die spontane Flucht verdrängen, wie wichtig ihm die Beziehung ist

Was sind die Folgen für die Opfer des Ghostings?

Im Gegensatz zur „Benching“- Methode, bei der die Bekanntschaft auf der Ersatzbank warmgehalten wird und mit kleinen Aufmerksamkeiten bei Laune gehalten wird, findet beim Ghosting nach der Flucht aus der Beziehung keinerlei Kontakt mehr statt. Die Person, die man einst liebte und schätzte, wird zum Geist und verschwindet für immer aus dem Leben. Der verlassende Beziehungspart bleibt einsam und allein gelassen zurück. Daraus resultieren die nachfolgenden Konsequenzen für die Opfer:

  • In der ersten Phase versucht sich das Opfer mit plausiblen Gründen zu erklären, dass es sich um ein Missverständnis handeln muss.
  • Der oder die Verlassene versuchen mit allen Mitteln Kontakt zum Ghost herzustellen und bemerken, dass dieser verschwunden ist
  • Es werden Familienangehörige, Freunde und die Arbeit kontaktiert, um mehr über das Verschwinden des Partners herauszufinden
  • Maßnahmen werden ergriffen, die zur Suche des Partners führen: meist erfolglos
  • Die Verlassenen realisieren, dass sie selbst zur Flucht des Ghosts beigetragen haben
  • Was folgt, ist eine tiefe Phase der Trauer, begleitet von Selbstzweifeln und Vorwürfen gegenüber sich selbst
  • Nostalgische Erinnerungen an die schönen Zeiten beschleichen die Gedanken des Opfers, gefolgt von unruhigen Überlegungen und schlaflosen Nächten
  • Das Opfer versucht, vergangene Erlebnisse innerhalb der Beziehung oder Ehe zu durchleuchten, um nach Gründen für die Flucht zu suchen
  • Eine ständige Ungewissheit, kombiniert mit einem restlichen Maß an geringer Hoffnung werden zum Alltagsbegleiter
  • Nach Tagen, Monaten oder Jahren der Trauer und Ungewissheit akzeptiert das Opfer den Verlust. Jedoch wird die Angst der Beziehungsflucht auch in den weiteren, zukünftigen Beziehungen eine große Rolle spielen.

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Quelle: neoloky/pixabay.com